Den ganzen Winter durch wurde Schach gespielt, die Spielstärke ständig schwankend, abhängig von der persönlichen Befindlichkeit und der kognitiven Verfassung: Unsere ganz persönliche Schachnovelle. Die Umgebung wurde für kurze Zeit vergessen, das Wetter spielte wie immer keine Rolle, ganz egal ob die Sonne scheint, es stürmte oder schneit. Seinsvergessen spielte man Zug für Zug, Nachmittag für Nachmittag. Geflüchtet in die Abstraktheit eines Spiels, umgeben von Bauern, Reitern und anderen Figuren aus dem Milieu der altertümlichen Sozietät. Abstrakte Schlachten, die im Leben niemals ausgefochten werden, doch grundlegendes, demiurgisches Machtstreben des Macchiavelli beinhaltet. Sinnbild der biochemischen Transmitter, die im Chaos des synaptischen Spalts um den Rezeptor kämpfen, kompetitiv als Agonisten und Antagonisten, die Affinität anstrebend, geleitet durch Osmosen und Diffusionen im Spalt der Synapse. Und in den nächtlichen REM-Phasen der Gezeichneten tauchen Schlüsselereignisse auf von Kriegen und Aufständen zwischen Gruppen von feindlich gesinnten Menschen und der Drang sich vor ihnen zu verstecken, das nur mit Mühe und Not gelingen will, in brüchigen Gebäuden und Verschlägen, während im Hintergrund kaskadenförmig die Gebäude einbrechen. Diese Traumwelten sind unsere privaten Mythen, gekostet aus dem kollektiven Unbewussten der öffentlichen Mythen. Einschlafen ist einfach, aber wie man aufwacht ist entscheidend, vor allem wenn man öfters an einem Tag aufwacht. Und umso mehr Nächte, desto mehr Träume, die alsbald in Vergessenheit geraten in der Zunahme des Bewusstseins, wie die Erinnerungen von denen sie sagen werden, es habe sie nicht gegeben. Gerade das Bewusstsein lässt die Träume vergessen, während es gerade im Wachzustand das Vergessen vermeidet. Die mentale Wiedererlangung von Vergangenem zehrt aus dem Repertoire längst gespielter Spiele, in denen du trotz des historischen Sicherheitsabstands von Jahren, die vergessene Stärke wiedererlangst. Die Wunde als Zeichen oberster Oberfläche, aus der Vergangenheit schöpfend. Mit jedem Name entsteht Geschichte, die geschichtslose Idylle schenkt uns nur der Traum. Revoltierend gegen die Flut des Schlafs, Seite für Seite bis ich versinke und das Buch weglege wie das Leben. Nyx die Königin der Nacht gebar Hypnos und Thanatos als die beiden Bewusstseinszuständen von Schlaf und Tod. Und selbst der Tod ist gewissermaßen ein sanftes Entschlafen, insofern die Kämpfe der Agonie ausbleiben. So tragen beide die Dunkelheit ihrer Mutter in sich und Morpheus, der Sohn des Hypnos schreitet durch die Schlafmohnfelder und unterdrückt die Agonie mit dem Morphium der weißsaftigen Kapseln. Morpheus, das Sandmännchen in den Geriatrien. Und so ist auch der graduelle Status des Bewusstseins für das Schachspielen entscheidend, denn nur im Fokus lassen sich die Figuren richtig ziehen. Die Fehlerhaftigkeit schleicht sich in den zarten Rausch des Bewusstseins ein. Die Menschen verstricken sich inzwischen in theoretische Gedankenspiele und Schachkompositionen, um die Macht des exponentiellen Wachstums zu zeigen, damals als das Brot noch Überleben bedeutete und in ihren Kommunionen andauernd gebrochen wird. Sie beginnen im ersten Feld mit zwei Weizenkörnern aus goldenen Ähren und quadrieren die Anzahl im folgenden Feld, bis auf dem letzten Feld viel mehr als die gesamte Ernte eines Landes liegen würde. Sie zeigen die exponentielle Zunahme des Weizenkorns auf den Schachbrettfeldern und erlangen durch ihre Gedankenspielereien neue theoretische Erkenntnisse, die ihrer Form nach nur wenig von einem eleusinischen Mysterienkult abweichen, wie einst die biblische Brotvermehrung. Mehr als achtzehn Trillionen Weizenkörner bedecken die vierundsechzig Felder des Schachbretts und machen die Theorie des Schachspiels in der Praxis unmöglich. Doch der Mensch lebt bekanntlich nicht von Brot allein. Die Weizenkornlegende verschweigt wie immer die Gefährlichkeit des Mutterkorns mit seiner Lysergsäure, die das Antoniusfeuer aufglimmen lässt, im Wechselspiel zwischen Besessenheit und Heiligkeit. Diese Sklerotien lösten eine Hyperthermie aus und schaffte die Hölle im Inneren des Körpers. Die Ärmsten, die sich ausschließlich von Getreide ernährten, vermahlen und verbacken, verbrannten innerlich am ergotismischen, heiligen Feuer. Die Grundnahrung der Asketen wurde durchzogen von Alkaloiden was ihre Gottesnähe und Heiligkeit begründete, transzendiert durch die Myzelbildung der Schlauchpilze, die vorallem das Frühjahr mit sich brachte. Sie beten immernoch am Isenheimer Altar zum heiligen Antonius und immernoch brennt das Feuer in den Körpern der Gezeichneten, die sich vor ihren Schachbrettern nach Brot und Spielen sehnen. Die Sphinx stellt vielerlei theoretische Schachrätsel, die zu lösen sind, sitzende Löwenwesen die einem gefährlich werden, sollte jemand das Rätsel nicht lösen. So rätseln sie über Probleme den König mattzusetzen, wollen nur Endspiele und beste Züge betrachten, deren Zusammenkommen sie nicht interessiert, während du immer noch lethargisch in deinen Eröffnungen verweilst und deine ungeordneten Analysen hegst, welche Gefahr droht und welcher Folgezug den Gegner in Verlegenheit bringt. Diese passive Verweilen und Abwarten in der Eröffnung ist gleichsam ein Innehalten und ein re-signere. Eröffnungen sind der abgenutzteste Teil einer Partie und wurden bis zur Erschöpfung durchanalysiert. Rasch folgt Zug auf Zug, theorielastig, wo das Gedächtnis wichtiger ist als kognitive Kalkulationen. Alles wird schlussendlich für den König gemacht, ihn zu schützen und ihn anzugreifen. Doch wird er selbst niemals geschlagen, denn die Würde des Königs ist unantastbar in seiner figürlichen Substanz. Obwohl im Folgezug das unabwendbar geschehen würde, beendet man die Partie davor mit der würdevollen Geste den König umzukippen. Doch sie rätseln inzwischen darüber, wie man acht Damen so auf dem Feld positioniert, sodass sie sich im Folgezug nicht schlagen können. Diese Rätsel sind Herausforderungen, die sich selbst wie Steine in den Weg gelegt haben und rein theoretischer Natur. Sie haben keine Geduld mehr und führen Zeiteinheiten ein, die immer kürzer werden. Bestmöglich sollte ein Spiel ein Blitzspiel sein, ohne auf den Donner zu warten. Ein einseitiges Unwetter, dessen Donnergrollen fehlt, wie das Wetterleuchten, dessen Schall in den Weiten der Luft versumpft. Die Zeit der langen Spiele sind längst vorbei. Nur Unglückliche haben es niemals eilig. Sie spielen ein Denkspiel, ohne denken zu wollen und verzagen am Lösen der Gleichung mit mehreren Variabeln. Für uns spielte Zeit schon lange keine Rolle mehr. Sie ist keine Dimension, sondern eine Angst. Die Urangst des Verlierens. Und so lastet der Druck der Zeit auf den Schultern der Großmeister, während sie immernoch in ihren Theorien und Vorbereitungen verweilen. Dich aber tangiert nur die subjektive, deiktische Zeit, die von der richtigen Zeitlichkeit der Schachuhr abweicht. Diese deiktische Zeit vergeht schnell, insofern etwas als angenehm erscheint und zäh, sobald Unangenehmes geschieht, als wolle das Unangenehme das Leben vereinnahmen. Durch die Schwere des Lebens wird die Zeit langsamer, wie auch die massereichen, kosmischen Objekte die Zeit dehnen, während die unbeschwerte Seichtheit die Zeit vergehen lässt. Die kosmischen Tränen sickern ein in das Leiden der terrestrischen Menschen. Und so reicht die Relativitätstheorie weit in das schwere Leiden hinein. Das Gefühl der Zeit weicht von der objektiven, realen Zeit ab und zerberstet im circadianen Rhythmus der Tage, während Faust immernoch auf der Suche nach dem verweilenswerten Augenblick ist. Gegenwärtiges Reales, Vergangenes Symbolisches, Zukunftiges Imaginäres, das Geheimnis der Zeitlichkeit und des damit verbundenen Umgangs mit seiner Triade an Zeitformen. In den Tiefen des Bretts auf den Feldern der Abstraktionen sind sie auf die Seichtheit bedacht. Das Versprechen möglichst einfach und unkompliziert zu spielen, ohne in der Tiefe des Bretts zu versinken, wird häufig gebrochen und die Seichtheit des Unterhaltungsspiels geht sogleich in Verbissenheit verloren, die einen bisweilen regelrecht erschöpft. Wie im Leben machst du eine Sache entweder mit tiefer Inbrunst und Leidenschaft, oder eben gar nicht. Wer anstelle von Seichtheit, wahre Tiefe besitzt, für den ist das Leben hier wahrlich keine Heimat. Das Leben wird provoziert fernab der gesunden Seichtheit, die du nicht erreichen kannst. Selbst die Einsicht dieser Tatsache hilft dir nicht zu Leben. Die Tiefe kann bewusst nicht verlassen werden. Gehärtet durch oftmals unsinnigerweise eingestellter Figurenopfer im Alles oder

 

nichts, kommt die Verbissenheit oftmals ans Licht, als Auffluktuieren kurzen Trotzes und Hasses, aber auch die passive Entsagung des Zulassens, das oftmals in die Resignation führt. Du spielst zu wenig mit Liebe und niemals würdest du Remis anbieten, es sei denn es ist erzwungen. Oftmals wird ein Remis schon gar nicht erkannt und somit nicht angeboten. Keine Lust auf Endspiele und Pyrrhussiege spielst du unreflektiert und auf Gewinn, das so oder so zum Nachteil führt. Selbst der Sieg ist ein zu teuer erkauftet Erfolg, der nur Erschöpfung mit sich bringt. Der Sieger geht wie der Verlierer aus der Partie. Die Gleichgültigkeit deiner nachteiligen, riskanten Züge, sind schlussendlich nur Selbstaufopferungen. Indem man sich selbst besiegt geht man indem man verliert, als Sieger aus dem Spiel. Als Sieger über sich selbst ist man durch die selbst verschuldete Niederlage ein Besiegter und Sieger zugleich. Wenn Besiegter ist der Verliert und Sieger wer gewinnt, mache ich mich besiegt bekennend, durch mein eigenes Verschulden, zum Sieger. Das Spiel wird am Ende ein Duell zwischen sich selbst. Wir tauschen keine Bauern ab, aber scheuen nicht die Tempoverluste, die Türme vor die Bauern zu schwenken. Plötzlich werden alle

 

Leichtfiguren abgetauscht und man steht im Endspiel mit allen Bauern und geschlossenen Linien. Doch die Großmeister spielen taktisch und spielen immer öfter auf Remis, tollkühne und interessante Stellungen vermeidend zum Leidwesen des kampflustigen, zähnefletschenden Publikums, vor allem von solchen, die Schach als Sport bezeichnen, mit seinem kompetitiven Prinzip, das aus der Natur geborgen wurde. Dadurch wird die sonst so wichtige Affektenkontrolle im Spiel nichtig. Die Freiheit von Leidenschaften, der Apatheia, der Selbstgenügsamkeit, der Autarkia und der Unerschütterlichkeit, der Ataraxia, wären für ein Schachspiel wichtig um eine stoische Ruhe zu bewahren. Deine Züge kommen mir entgegen. Züge, die sich anbieten aber niemals kommen werden. Durch kluges Tauschen streben sie eine Reduktion von Komplexität an, in Gedanken versunken im „Wie du mir, so ich dir.“ Ein Frage - Antwort Spiel, das sich auf die Wertigkeit der Figuren bezieht und dessen Prinzip durchaus einem utilitaristischen Gedankengang ähnelt. Bestrebungen wie in der Marktwirtschaft und des Tauschhandels treten hier im Spiel in den Vordergrund. Dennoch schwankt die Figurenstärke innerhalb eines Spiel, statisch bleiben nur die gültigen Züge der jeweiligen Figur. Ansonsten herrscht ein komplexes Verhältnis zwischen Position und Aktivität aus der sich der Wert einer Figur zusammensetzt Im Spielverlauf werden plötzlich die Bauern und die Aktivität des Königs entscheidend, die Orthogonalität des Turms gewinnt ihren Sinn erst in den offenen Linien des fortgeschrittenen Spiels. Die Diagonalität des Läufers und seine Weitschrittigkeit tritt bereits früher in den Vordergrund. Sie sind vor allem im Paar effektiv, da erst beide Läufer die schwarzen und weißen Felder beschreiten können. Sie können die Feldfarbe niemals wechseln und bleiben schwarzfeldrig und weißfeldrig bis in alle Ewigkeit in großer Distanz, da sie sich niemals in die Quere kommen können. Man merkt ziemlich schnell, wenn ein Läufer fehlt, denn plötzlich fehlt die Kontrolle und der Druck auf den weißen oder schwarzen Feldern, denn die Farbe des abwesenden Läufers verringert die Kontrolle der jeweiligen Feldfarbe. Sie trennten sich vom Zwei in einer Welt, die jede Parität vermeidet und jeden allein sein lässt. Die Macht der Liebe sich nicht verkümmern zu lassen führt in das Trauma der Trennung. Der König wähnt sich währenddessen sicherer auf der anderen Feldfarbe, die der Läufer niemals erreichen kann. Besitzt man plötzlich zwei gleichfarbige Läufer, so kann das nur durch eine Umwandlung eines Bauern geschehen. Gleichgewichte, die sich aufwiegen und hin und her schwanken, wo oftmals nur ein Zug ausreicht um das Spiel zu kippen. Selbst eine siegessichere Position, kann plötzlich im Folgezug, den Verlust bedeuten. Sprunghaft, nicht kontinuierlich, springt das Resultat zwischen den zwei Extrema hin und her. Dafür ist oftmals die anfängliche Symmetrie der Stellung verantwortlich, die plötzlich zur Asymmetrie verkommt und durch das Ungleichgewicht eine neue Dynamik ins Spiel bringt. Solche Strukturbildungen und Formprinzipien emergieren aus der rationalen, logischen Zugführung. Vermehrt finden sich Strukturen wieder, die sich in vielen Schachspielen wiederfinden lassen. Die Vielfalt aller möglichen Züge lässt sich nur durch Gruppierung und Ordnung bändigen, woraus sich durch dieses Streben wieder gewisse Figurenstrukturen verfestigen. Gerade in der Eröffnung leitet uns die Aufbaukunst um gewünschte Schachkompositionen zu erhalten. Im Mittelspiel droht dann das Auseinanderfallen der Strukturen, die anfängliche Ordnung verwandelt sich zunehmend in chaotischere Stellungen, wie das Auseinanderfallen des Ichs. Man ist stets bemüht neue Ordnung durch das Zusammenfügen zu neuer Ordnung zu gelangen. Aus dem schizoiden Flickwerk kommt die Erkenntnis, dass man daraus riesige Mannigfaltigkeiten im Lebensspiel erreichen kann. So erbauen wir immer wieder aufs Neue aus den Figuren unseres zerlegten Ichs, immerzu neue Gruppen, mit neuen Spielen und Spannungen mit ewig neuen Situationen. Dann strich er mit heiterer Gebärde über das Brett, warf alle Figuren sachte um, schob sie auf einen Haufen und baute nachdenklich, ein wählerischer Künstler, aus denselben Figuren ein ganz neues Spiel auf, mit ganz anderen Gruppierungen, Beziehungen und Verflechtungen. Das zweite Spiel war dem ersten verwandt: es war dieselbe Welt, dasselbe Material, aus dem er es aufbaute. Aber die Tonart war verändert, das Tempo gewechselt, die Motive anders betont, die Situationen anders gestellt.

 

Und so baute der kluge Aufbauer aus den Gestalten, deren jede ein Stück meiner selbst war,

 

ein Spiel ums andere auf, alle einander von ferne ähnlich, alle erkennbar als derselben Welt

 

angehörig, derselben Herkunft verpflichtet, dennoch jedes völlig neu. Ich Spiele und du gewinnst. Die Symmetrie verbirgt in sich bereits die die Tücke, bis sie sich plötzlich offenbart. Zusätzlich herrscht immer die Asymmetrie dadurch vor, dass Weiß prinzipiell immer einen Zug vorauseilt und dadurch zumindest anfangs die Initiative besitzt. Die Entscheidung einen Bauern zu ziehen ist eine entgültige Entscheidung. Er strebt immer nach vorne, keine Wege führen zurück und vergangene Orte lassen sich niemals wieder erreichen. Er schlägt als einziger nicht in die Richtung in der er zieht. Sie kennen nur Zukunft und die Gegenwart, alles strebt nach vorne wie auch die Evolution an der Spitze der Art kulminiert und sich nur innerhalb eines definierten Spielraums bewegen kann. Die Wege zurück bleiben wie so oft versperrt und die Art geht oftmals an neuen Umweltverhältnissen an ihrer eigenen Individuation zu Grunde, wie damals die Urzeithirsche mit mächtigem Geweih in den dichten Wäldern der Köhler die das Hindurchkommen der Waldläufer unmöglich machte. So blockieren auch die Bauer in der Eröffnung die anderen Figuren, bis es zu einem Bruch der Bauernketten kommt und die anderen Figuren freie Wege erhalten, denn durch den Bauernwald gelangt man nur durch einen Abtausch. Der entropische Zeitpfeil ist nur unidirektional und zeigt nach vorne. Und so lastet die Erbschuld auf uns, damals als Strafe der Götter - heute, als Strafe der Gene. Die Entropie nimmt im Laufe eines Schachspiels immer zu und lässt sich nur durch Intervenieren und Zurücksetzen erreichen, was durch die Regeln nicht erlaubt ist. Das Regelwerk verkörpert somit den rigorosen Vorwärtsgang in Zeit und Entropie und kennt keine Verzeihung. Orpheus verliert seine Geliebte an die Unterwelt, so bald er sich

 

zurückwendet. Und die Bauern schreiten immer weiter in die gegnerische Spielfeldhälfte zuallererst mit Doppelzügen und plötzlich führt mein langes Hadern und Zulassen ins en passant. Sie blockieren zunächst die Linien des Gegners und nehmen oft die Bauernstruktur einer Flohstraße an, die sich als besonders robust erweist. Und so errichten sie die Grundstrukturen der menschlichen Existenz. Die Freibauern erhalten im Endspiel plötzlich vom König Unterstützung und es Beginnt ein Lauf des Königs über das gesamte Brett, manchmal die Opposition des anderen Königs suchend, wie es das Spiel der Könige verlangt. Das Endspiel wird immer mit den Königen bestritten, da sie sich immerzu auf dem Brett befinden, solange das Spiel anhält. Selbst das Berühren einer Figur erzwingt den Zug mit derselben. Die Entscheidungsfindung ist nur in Gedanken erlaubt, die weitere Abfolge ist erzwungen, sobald die taktile Berührung erfolgt ist. Das Taktile ergibt sich aus den elektromagnetischen Abstoßungskräften und den Valenzelektronen die an der Grenze sich stoßen. Es gilt das Noli me tangere bevor man nicht fertig gedacht hat, wie das Rührmichnichtan der zarten Mimosa pudica, die eigentlich viel zu sensibel für die Natur ist und bei jeder Berührung zusammenzuckt. Sie wird gereizt durch die unsachten und groben Hände der Kinder, die andauernd die schamhafte Leidensfähigkeit der Pflanze provozieren. Nastien, die die Turgorbewegung bei Berührung der gefiederten Blätter erzwingen. Die Grausamkeit der Kinder, die selbst die Reizbarkeit der Fauna ausnutzen. Sie greifen in die Wunde und die Wunde sind sie von nun an selbst, in ihren peripersonalen Räumen, die sie von der Gesellschaft trennen, so wie die Figuren im Schach niemals das Feld teilen, sondern sich schlagen. Im Nexus der Kausalität erfolgt der Zug als Implikat, restringiert durch die Forderung eines der Figur inhärenten, gültigen Zugs. So wirke nicht im Vorraus, denn hinter dir liegt das Feld, dass du einst verlassen und du nur im nächsten Schritt, wenn überhaupt zulässig, dieses Feld wieder besetzen kannst, während die Zeit verloren ist und die Salzsäulen in deinem Rücken ständig wachsen bis zum Zugzwang, dem letzten deiner Züge, der kein Pardon kennt und auch den sinnlosesten aller Züge erzwingt. Ursache und Wirkung, Ursache und Strafe. Das Ross fühlt sich gut aufgehoben vor schützenden Bauern und gerade das „Um-die-Ecke-Denken“ birgt die Gefahr in sich, da die meisten Menschen naturgemäß niemals um die Ecke denken. Der Gedankengang, der Tiefe erfordert, wird meistens vermieden. „Ihr müsst tiefer tauchen“, sagte der Schwimmlehrer. Und die Perlentaucherinnen des Mathew Barney holen inzwischen die sandentstandenden Perlen aus den geküssten Muschelmündern und bringen die Perlmutkügelchen in ihre Münder an die Oberfläche, wo sie sie dann erbrechen. Und Tiere die Perlen bilden sind immerzu verschlossen. Die Oberfläche verspricht die Seichtheit, das zeugt nicht unbedingt von Unverständnis, sondern von einer fehlenden Bereitschaft sich auf das Denken einzulassen. Und oftmals werden die Gedanken nicht zu Ende gedacht. Sie brechen notwendiger Weise irgendwann ab, da sie sonst eine absolute Handlungsunfähigkeit hervorrufen. Der Springer positioniert sich gut im Zentrum des Bretts und nicht am Spielfeldrand, wo er einen weiten Angriffsradius besitzt, denn am Rande, da liegt die Schande. Im Leben steht man als Springer oftmals im Zentrum eines 3x3 Feldes, wo kein Zug mehr möglich ist, da das vierte Feld fehlt. Der Springer verinnerlicht insgeheim einen einschrittigen Turm- und Läuferzug und es ist im Egal was dazwischensteht. Währenddessen üben sich die Kinder im Tempelspringen. Im letzten Feld, dem Himmel, als rundbögiges Tympanon drehen sie um und springen wieder zurück, für solche, die der Himmel kein Zustand des Verweilens bedeutet. Bei jedem Zug alterniert die Feldfarbe des Springers und er benötigt oft mehrere Schritte, um ihn zu positionieren. Er bringt oftmals die Gefahr einer Gabel in sich und bedroht unvermeidlich zwei oder mehrere Figuren, von der mindestens eine Figur unvermeidlich verloren ist. Das Opfer zur Errettung andere ist wahrscheinlich das schlimmste aller moralischen Dilemma an dem der Utilitarismus zu bersten beginnt. Das Springen und das Sprunghafte ist schwierig, nur das kontinuierliche wirkt natürlich und lässt die vorausschauende Erwartung zu, in der man sich sicher fühlt. Als Kind wird das Springen durch das Wiegen ersetzt. Sanft gleitet das Kind hin und her und her und hin. Und das Meer widmet sich dem Ufer. Und Glück und Unglück und Glück und Unglück und wie ein Schiff im Meer. Und wie ein Schiff im Meer. Das Schaukelpferd und seine Wiege maskiert die Sprunghaftigkeit des Rosses durch die Kipprundung des Schaukelpferds und die Mnemosyne singt dazu die drohenden Wiegelieder von Reitern die in den Graben fallen, während des Fallens schreien und die von Raben gefressen werden. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? Siehst Vater du den Erlkönig nicht? Und Laokoon warnte vor der Gefahr der Pferde und wurde nicht ernst genommen, wie die Fieberträume der Kinder. Du stellst mich vor die Wahl von Verhängnissen und plötzlich kollabiert der Möglichkeitsraum der gültigen Züge und das Spiel ging sogleich kaputt. Im Bangen deiner Züge, die dir Zug für Zug entglitten, warte ich auf einen ungünstigen Zug von dir, um endlich Gegenspiel zu bekommen. Meine Grenzen sind deine Möglichkeiten, indem ich zulasse und übersehe. Die Rochade bringt den Turm ins Spiel und bringt den König gleichzeitig in eine sichere Position hinter den Bauern. Du wünscht dir nichts sehnlicher als eine Rochade aus der Penetranz des Lebens hinein, hinter einem Wall aus Sicherheit und Abgeschiedenheit um dort zu verweilen am Eck des Spielfeldes, das sich Leben nennt. Ziel gegen Ende des Spiels ist es die beiden Türme zu verbinden und sie womöglich auf eine Linie zu verdoppeln. Doch der richtige Zeitpunkt der Rochade wird oft verpasst, aus Angst vor Tempoverlusten und die plötzlichen, salzigen Schachausrufe kommen ungünstig und verhindern sogleich die Rochade. Der König muss wandern damit er nicht ermattet. Die Königin besitzt den größten Freiheitsgrad, verkörpert in ihren Zugmöglichkeiten und gilt somit als stärkste Figur auf dem Brett. Ihre Anfangsstellung ergibt sich durch den gerne gesagten Merksatz: Weiße Dame, weißes Feld– Schwarze Dame, schwarzes Feld. Regina regit colorem. Sie diktiert die Farbe. Man weiß, wenn man weiß ist, oder die Königin der Nacht mit ihrem Schattenkönig. Persephone erklimmt langsam den abfallenden Hügel der Unterwelt. Auch sie ist die Königin der Nacht gewesen, während der langen, düsteren Wintermonaten und kommt einmal im Jahr aus der Unterwelt mit dem Geschenk des Frühlings, wie die Dynamik der Zweiweltenlehre der Religionen in all den Hunderten an Jahreszeiten. Die zwei Naturen, wie im Schachspiel die zwei Farben, sind das Licht und die Finsternis, das am Anfang aller Zeiten einmal getrennt war. In der gegenwärtigen Zeit kam es zu einer Durchmischung beider und es herrschte der Zwischenzustand der Dämmerung. Erst in der Zukunft wird sich hell und dunkel wieder scheiden. Wenn die Lichtbefreiung fast vollendet und die materielle Welt zu einem Klumpen zusammengeschmolzen ist, tritt die Endzeit der manichäischen Heilsgeschichte ein. Eine Neuerstehung, nach der endgültigen Trennung von Licht und Finsternis, findet nicht statt. Die Heilsgeschichte endet mit der vollständigen und endgültigen Trennung von Licht und Finsternis.