Die meisten Menschen haben Angst vor dem Nichts.
Viele Menschen, die an Agonie leiden («melete thanatou») und somit gegen Ende hin zu revoltieren beginnen, suchen Zuflucht in metaphysischen und esoterischen Schlössern, damit sie bis in alle Ewigkeit leben, arbeiten, denken und altern können. Denn die Menschen lieben das Leben, wollen es bis in alle Ewigkeit leben. Doch sie lieben das Leben, weil sie das Lieben gewohnt sind, nicht das Leben. Diese monumentalen Bollwerke bieten eine postmortale Heimat von Verehrern der Energiegötter, die sich vom theosophischen Quietismus abgewendet haben. Die Entscheidung zum Leben ist oftmals unanständig und unbedacht, doch klingt sie trivial, als man dazu fähig ist. Die Entscheidung zum Nicht-Leben ist paradoxer Weise meistens gerechtfertigt und begründet. Wenn er gewinnt, gewinnt er die Ewigkeit, verliert er aber, so verliert er – nichts. Mit stoischer Gefasstheit tragen sie das Gewicht der Welt, könnte es doch ebenso gut von einer Säule getragen werden. Denn nur die Abwesenheit des Gewichtes der Welt von den menschlichen Schultern, bedeutet nicht das die Erde fällt. Diese Menschen sind wahrhaftig gealtert und Erwachsen. Erwachsen zu sein, heißt die Jugend überwunden und vergessen zu haben. Vielleicht werden Kinder deshalb so oft bestraft. Der Alte sieht einem Schneemann ähnlich, wenn man im Nachhinein an den Frühling denkt. Doch manchen wurde bereits das diesseitige Glück, wovon die Alten aus zeitgenössischem Selbstverständnis immer sprechen, nie zu teil. Diese besondere Art um glücklich zu sein haben viele nie erfahren und sind somit trotz aller Vorraussetzungen glücklich zu sein, unglücklich. Sie suchen nichts bestimmtes im Leben, doch erwarten sie mehr – ein Gewissheitssyndrom. Die Billigkeiten und Halbheiten des Lebens konnten für sie im Diesseits nicht überzeugend sein, geschweige denn in einem ewige Leben. – Ein Lustverlust inmitten prästabilierter Disharmonie, episodische Glücksmomente im chronischen Leiden. Die unmittelbare existentielle Erfahrung wird im Mangel am klarsten, weswegen Mängelwesen auch fortwährend an ihre Existenz denken. Auch das Nicht-Sein kann zur Gewohnheit werden, jedenfalls wird man sich dessen nicht bewusst werden. Das Sterben als Ver-Nichtung in seiner gesamten Posivität ist eine Auflösung ins Nichts, weswegen die Angst vor dem Sterben eigentlich ein Nichts ist. – Nichts heißt nicht Leiden und verloren zu haben, was nicht vermisst werden kann. Tatsächlich wird das identifizierbare Ich ver-nichtet, aber bevor man geboren wurde, war man ebenfalls nichts. Dieses Nichts, ist dem Nicht-Mehr nach dem Tode und dem Noch-Nicht vor der Geburt völlig gleich. Zurückgewandte begnügen sich mit der Vorstellung an einem invertierten Geburtstag; wie es war, bevor man geboren wurde. Doch an die Geburt, als maßgeblichstes Ereignis unserer Selbst, können wir uns nicht mehr erinnern. Er, den es nicht gab, bekam nie die Möglichkeit etwas zu verbessern, erdachte niemals eine Utopie. Denn er selbst lebte in Utopia, ging tagtäglich im Nicht-Ort spazieren, weil es schwierig ist stehen zu bleiben. – Das fatale Schicksal eines Mitläufers. Hätte uns das Nichts etwa vor der Geburt jemals gestört? Das Nicht-Sein ist so wenig ein Übel, wie das Nichtgewesen-Sein. Das Leid, das aber nicht erkannt wird, ist ein Widerspruch in sich. Ein solcher aber ist das Nichts, das blasphemisch den Segen des «mögen sie Ruhen in Frieden» nachruft.